Grau, grau, grau ist die Hundeschnute

Heute haben wir Besuch von Rusty. Rusty ist der Herr mit der grauen Schnute, der den Hintergrund ziert und "Schuld" daran ist, dass ich heute als Hundephysio aktiv bin. Das Bild ist vor nicht ganz einem Jahr entstanden. Bevor es los ging ans Knipsen fragte unser Fotograf Ralf, wie alt Rusty denn sei. Auf meine Antwort, er hätte gerade seinen 10. Geburtstag gefeiert, ging Ralf davon aus, dass es dann ja ein etwas ruhigeres Shooting werden würde. Naja, das Ergebnis seht ihr ja selbst... ;-)

 

Heute, nach einigen Senioren, die meine Hände schon geknetet haben, weiß ich, dass Rusty für sein Alter tatsächlich sehr gut drauf ist. Für mich war es immer selbstverständlich, dass er beim Anblick einer Wiese Vollgas gibt und lustig Haken schlägt ohne ihn animieren zu müssen. Heute ist mir klar, dass einige nicht einmal so alt werden oder mit schweren körperlichen Einschränkungen zu kämpfen haben. Deshalb möchte ich heute ein paar Gedanken zum Thema Hundesenior aufschreiben.

 

Welpen brauchen viel Aufmerksamkeit. Ständig muss man sie hinausbefördern, um Pfützen (und größeres) im Wohnzimmer zu verhindern, man fährt eifrig in die Hundeschule, um ihn zu erziehen und bringt ihnen mehr oder weniger hilfreiche Tricks bei.

Und ehe man sich versieht, findet man die ersten grauen Haare an der Hundeschnute. Wir erwischen uns dabei wie wir sagen "Der ist aber schon lange nicht mehr so freudig losgerannt". Vielleicht lahmt er auch hin und wieder mal und der Tierarzt stellt eine Arthrose fest. Viele kommen dann zu dem Schluss, dass der Hund wohl ab sofort zu den Senioren zählt und kürzer treten muss. 

Ich glaube allerdings, viele unserer vierbeinigen Senioren sind unterfordert und das letzte was wir tun sollten ist, uns weniger mit ihnen zu beschäftigen. Nur anders. Natürlich rennen und spielen sie nicht so wie mit 2 oder 3 Jahren und Agility ist vielleicht auch nicht die Sportart, zu der ich raten würde. Aber warum nicht eine seniorengerechtere Sportart wie Hoopers-Agility, Mobility, Suchspiele usw.? Das Angebot ist heute größer denn je und auch für ältere Semester ist einiges dabei. Es geht dann nicht mehr um "höher, schneller, weiter" sondern darum, miteinander Zeit zu verbringen, gemeinsam etwas zu erleben und sich daran zu erfreuen, wenn man eine neue Aufgabe gemeinsam gelöst hat. 

Genauso sieht es mit dem täglichen Gassigehen aus. Wenn ich 10 Jahre jeden Tag drei mal die gleiche Strecke laufe, würde ich wohl auch nur noch gelangweilt hinterhertrotten. Es ist nie zu spät gemeinsam die Welt zu erkunden. Oder zumindest die umliegenden 20-30 Kilometer. Warum nicht mal wieder an den Strand fahren? In den Wald oder die Lüneburger Heide? Einfach mal wieder andere Luft schnuppern, andere Menschen und Hunde treffen. Ihr ahnt nicht, welche Energien plötzlich in euren Vierbeinern freigesetzt werden! Und wenn ihr nicht woanders hinfahren wollt oder könnt, entdeckt eure Runde mal neu. Lauft im Slalom an der Bürgersteigkante entlang (natürlich nur, wenn der Verkehr es zulässt), lasst euren Hund auf dem Baumstamm balancieren, baut einfach mal ein paar Grundkommandos ein und freut euch, als wäre ein gelungenes "Sitz" die schwierigste nur denkbare Übung für einen Hund.

 

Früher konnte ich es kaum abwarten, bis Rusty endlich alt genug war um mit ihm Agility zu machen, Fahrrad zu fahren und Stunden am Strand spazieren zu gehen. Die Zeit mit einem alten Hund habe ich mir ehrlich gesagt richtig langweilig vorgestellt.

Heute sehe ich das anders. Die Lebensfreude, die er ausstrahlt, ist immer noch genau so ansteckend wie früher, wenn nicht sogar noch ansteckender. Immerhin ist er in "Menschenjahren" gute 80 Jahre alt. Ich würde mit 80 auch gerne noch Haken schlagen. Ich freue mich über sein Schnarchen nach einem langen Spaziergang, darüber dass er seine Futterschüssel nach jeder Mahlzeit einmal durch die halbe Küche schiebt, darüber dass er sich bei den ersten Sonnenstrahlen im Gras wälzt und hoffe, dass er das noch ganz oft tun wird. 

 

Menschen, die keine Tiere haben, können sich das immer gar nicht vorstellen, wie sehr man mit Hund, Katze, Pferd mitleidet, wenn sie krank oder verletzt sind oder eben alt werden. Und dann ist da noch die Sache mit dem Einschläfern. Gerne wird dann gesagt,  wie schön es doch sei, dass man sein Tier nicht leiden lassen müsse sondern rechtzeitig erlösen könne.

Das sagen nur Menschen, die diese Entscheidung noch nie treffen mussten oder noch nie jemanden mit dieser Entscheidung haben ringen sehen. Denn auch das  gehört zu meinem "Job". Hund und Halter auf einem Stück Weg zu begleiten, der mit einem Abschied endet. Einige schauen mich hilfesuchend an und fragen, ob es wohl besser für ihren Hund wäre, wenn "man es beenden würde". Vielleicht mag der Vierbeiner kaum noch laufen können, die Kontrolle über Blase und Darm war schon mal besser und das Atmen fällt auch schon schwer, aber wenn Herrchen nach Hause kommt oder der Kühlschrank aufgeht, wedelt die Rute und man merkt, dass der Kopf noch voll da ist. Und dann sind da diese Tage, an denen er sogar bis zur Tür kommt um Hallo zu sagen.

Verständlich, dass man jemanden sucht, der "objektiv" dieses Tier betrachtet und einem die Entscheidung abnimmt oder zumindest leichter macht. Niemand möchte sein Tier leiden lassen. Doch diese Entscheidung, die man da treffen soll, geht um Leben oder Tod. Das klingt jetzt dramatisch, aber das ist Tatsache. Wenn der Hund 12 Jahre alt ist und eine Magendrehung hat, mag diese Entscheidung leichter fallen, aber nicht wenn es schleichend schlechter wird.

 

Was einige vermutlich nicht wissen: es gibt Tierhalter, die einen vierbeinigen Pflegefall zuhause haben. Die selbst kaum schlafen, weil der Hund nachts verwirrt bellt. Die den Kinobesuch absagen, weil sie den Hund nicht so lange alleine lassen können. Die tagelang nur damit beschäftigt sind, Handtücher und Decken zu waschen, weil man es nicht mehr rechtzeitig raus geschafft hat. Die ihr Berufsleben umkrempeln, um sich um ihr Haustier zu kümmern. Das kostet enorm viel Kraft und Nerven. Das erzählen sie so vielleicht nicht jedem, denn dann kommen sie wieder. Diese Blicke, die sagen "Aha, du bist also selber nicht stark genug, den Verlust zu verkraften und lässt dein Tier unnötig leiden". Davon brauchen sie nicht noch mehr, die bekommen sie schon bei auf den 200m-Spaziergängen die Straße runter.

Nein, diese Menschen haben meinen größten Respekt verdient. Sie opfern viel Zeit für ihren treuen Begleiter, weil sie Angst haben, ihnen zwei Wochen zu nehmen, die es noch ganz gut gegangen wäre. Weil sie hoffen, dass es doch wieder eine gute Phase geben wird. Weil sie jetzt die Gelegenheit haben, etwas zurück zu geben. Ihre Gedanken kreisen jeden Tag darum ab wann ein Leben nicht mehr lebenswert ist, ob man wirklich das Recht dazu hat, darüber zu bestimmen. Und jede Nacht die verbotene Hoffnung, dass das Tier es alleine "schafft" und einem damit die Entscheidung abgenommen wird. 

 

Und auch jetzt schmunzeln vielleicht einige Nicht-Tierbesitzer über soviel Emotionen beim Thema Haustier. Weil ich so schreibe, als würde es sich um ein Familienmitglied handeln. Ich denke ihr wisst alle, was ich dazu sagen würde.

 

Lasst uns dankbar sein, für jedes Lächeln, dass uns unsere Begleiter ins Gesicht zaubern. Für ihre ganz eigenen Marotten und jeden guten Tag. Freut euch über jeden Tag, den sie gesund sind und euch glücklich machen, indem sie einfach nur da sind. Und unternehmt etwas mit ihnen, solange ihr könnt. Hört nicht auf, euch mit ihnen zu beschäftigen, sondern sucht euch passendere Beschäftigung.

 

Ich schaue mir jetzt Rusty an, wie er vorm Fernseher auf der Seite liegt, sich zwischendurch streckt und leise grummelt, wenn ihm der Fußballkommentator zu laut kommentiert.

 

Habt eine schöne Restwoche,

Sarah

 

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